6. Verhandlungstag: Mittwoch, 09.07.2014

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Zeugin Guntrun M.-E., 55 Jahre, Pfarrerin, Kopfverletzung
Zeugin Gabriele L., 67 Jahre, Psychologische Psychotherapeutin, Augenverletzung
Zeugin Dr. Katharina A., 47 Jahre, behandelnde Augenärztin

Protokoll von Sybille Kleinicke

Erklärung von der Verteidigung

Die Verteidigung gibt eine Stellungnahme ab und betont, dass die Angeklagten umfassend und ausführlich berichtet hätten. Grundlagen waren dabei die eigenen Erinnerungen und die Aufarbeitungsarbeit beider Angeklagten. Die Angeklagten halten fest an dem Gesagten und zwar sowohl im Prozess als auch im Untersuchungsausschuss.

Erklärung Rechtsanwältin Röder für ihre Mandantin

Rechtsanwältin Röder nimmt Bezug auf die Regeln der StPO (Strafprozessordnung) und prangert die lange Zeit - 4 Jahre - Wartezeit auf Aufklärung an. Das Verfahren soll nicht als Tribunal missbraucht werden.

Frau Röder betont die Verantwortung der Angeklagten, hebt auf die Verantwortung der Angeklagten ab. Der Angeklagte F. hat die Freigabe des Unmittelbaren Zwangs beantragt. Die Angeklagten sind verantwortlich für Planung und Ausführung und das Delegationsprinzip sei keine Entschuldigung für die Verantwortung der Angeklagten.

Sie nimmt dabei Bezug auf die PDV 100, die die Verantwortlichkeiten, die Rolle und das Selbstverständnis regelt. Das Vertrauen der Bevölkerung sei durch diesen Einsatz massiv beeinträchtigt, die Würde des Menschen. Die Beweisaufnahme und Videos werden zeigen, was die Angeklagten gesehen haben und was nicht.

Frau Röder bittet noch darum, auf die Sprache zu achten, z.B. der Begriff Feldherrenhügel. Sie betont nochmals, dass dieser Einsatz unverhältnismäßig war.

Zeugenaussage Guntrun M.-E., 56 Jahre, Pfarrerin

Zeugin war an diesem Vormittag in einem Taufgespräch. Gegen 11:17 Uhr erreichte sie ein Anruf ihres Sohnes, der bei der Schülerdemo dabei war. Ihr Sohn hat ihr von dem Polizeieinsatz berichtet. Daraufhin ist sie in den Schlossgarten gefahren.

Sie betrat den Schlossgarten über den Zugang Café Nil. Es stellte sich eine verwirrende Lage für sie dar. Sie sah, wie Kinder auf der Wiese oberhalb des Biergartens vom Wasserwerfer bespritzt worden seien und fand das empörend. Per SMS hat sie dann von ihrem Sohn erfahren, dass dieser unter einer Plane stehen würde und diese vom Wasserwerfer attackiert würde. Sie wollte dann dorthin gehen, sie wollte zu ihrem Sohn.

Auf dem Weg zu ihm, kam sie unter eine Plane und hat Wasser vom Wasserwerfer abbekommen. Sie berichtet von starkem Hustenreiz. Sie versuchte sich dann mit Sonnenbrille und Halstuch zu schützen. Immer wieder stand sie unter Wasserbeschuss, es war für sie diffus.

Zeugin stand zusammen mit anderen Menschen unter einer Plane und hat diese wohl mit der rechten Hand zusammengehalten, es waren wohl zwei Planen. Sie spürte dann einen massiven Schlag auf den Kopf und ist hingefallen. Sie hatte Angst zu ertrinken, weil immer mehr Wasser auf sie runter prasselte, sie hat versucht, sich aufzurichten, beim Aufrichten habe sie dann den nächsten Schlag am Unterarm verspürt.

Die Zeugin beschreibt eindrücklich, dass sie in Panik war, sie spricht von Todesangst und Lebensgefahr, sie wollte nur noch raus aus dieser Situation, sofort raus. Sie ist dann raus gestolpert und beschreibt dann einen Filmriss.

Sie sei dann irgendwie auf einer Bank im Biergarten gelandet. Aber auch im Biergarten habe sie Wasserregen abbekommen und sie hatte ihren Sohn ja noch nicht gefunden. Sie habe dann wieder nach ihm gesucht und ihn letztlich auch gefunden.

Befragung

Die Zeugin sagt, sie sei kurz nach 12:00 Uhr, ca. 12:15 Uhr von zu Hause los, sie müsste also ca. 12:30 Uhr im Schlossgarten angekommen sein. Sie war wohl unter einer blauen Plane, hier hat sie keinen Treffer abbekommen.

Sie hat 10 bis 15 Kinder auf der Wiese gesehen, die vom Wasserwerfer mit Wasserregen bespritzt wurden, die Kinder sind davon gelaufen.

Unter der Plane waren etwa 20 Personen. Ein dunkelhäutiger Jugendlicher sagte, dass sie das Wasser abschütteln sollten, da ist was rein gemischt.

Sie hat keine Erinnerungen an Polizeidurchsagen auch habe sie nicht mit Polizeibeamten gesprochen.

Sie vermutet, dass sie zwei Planen zusammengehalten hat, sie weiß es aber nicht mit Bestimmtheit.

Der Kopftreffer hinterließ ein Hämatom hinter dem linken Ohr und war noch zwei Wochen später hühnereigroß. Das Hämatom am Oberarm war 5 x 20 cm groß, sie hat keinen Treffer im Gesicht abbekommen.

Von dem Treffer wurde sie umgeworfen, sie sei nach unten auf die Knie gefallen, es ist dann extrem viel Wasser auf sie gestürzt, sie vergleicht die Situation mit einer Ozeanwelle. Der Treffer am Oberarm traf sie, als sie noch nicht wieder ganz auf den Beinen war.

Danach musste sie raus, ihr Partner habe sie nach der Treffersituation gefunden, sie selbst hatte einen Filmriss und ihre Erinnerung setzt erst wieder im Biergarten ein.

Die Verletzungsdauer betrug ca. 3 Wochen, am Anfang hatte sie starke Schmerzen am Arm auch Kopfschmerzen, diese Schmerzen hielten ca. 2 Wochen an. Sie hat heute keine Verletzungsfolgen mehr.

Die Zeugin sagt, sie habe die Verletzungen nicht zur Anzeige gebracht aus Angst vor Gegenanzeigen, sie habe mitbekommen, wie andere, die Anzeige erstattet hätten, selbst mit Ermittlungsverfahren überzogen worden seien. Des Weiteren haben sie über ihre Friseurin erst von dem Hämatom am Kopf erfahren, sie selbst habe es nicht gesehen, sie hat nur gespürt, dass dort was ist.

Auf die Situation im Biergarten angesprochen, erklärt die Zeugin, sie habe Menschen mit roten Augen gesehen, einen Menschen mit zerschossener Brille. An weitere Wasserwerferverletzte kann sie sich nicht erinnern. Ihr Partner war am Bein verletzt und wurde von Polizeikette geschubst.

Nachfrage von Rechtsanwalt Müller

Rettungswagen hat sie nicht gesehen, erst sehr viel später hat sie einen Rettungswagen gesehen.

Nachfrage von Rechtsanwalt Mann

Die Zeugin hat kein Pfefferspray direkt abbekommen. Nach dem Beschuss der Plane, unter der sie stand, fingen alle um sie herum an zu husten, sie auch.

Die Zeugin sagt nochmals sehr klar, dass sie keine Anzeige erstattet hat, weil man ja wüsste, wie das ausgeht. Sie bringt ihren Unmut über die Justiz aber auch über die Polizei im Zusammenhang mit Gegenanzeigen und unangebrachten Ermittlungsverfahren zum Ausdruck. Sie hat kein Vertrauen.

Die Zeugin hatte nicht das Gefühl etwas Unrechtes zu tun, sie beruft sich auf ihr Demonstrationsrecht.

Sie hat keine Gewalttätigkeiten von Demonstranten gegenüber Polizeibeamten mitbekommen.

Der Wasserwerfer war ca. 10 bis 15 Meter von ihr entfernt, sie hatte jedoch keine Sicht auf den Wasserwerfer.

Inaugenscheinnahme Videos

Es werden jetzt drei Videos eingesehen aus der Zeit 13:29 bis 13:36.

Die Angeklagten können sich an die Einsatzsituation erinnern, jedoch nicht an die konkrete Situation. Der Angeklagte F. weist auf einen Polizeibeamten mit Regenschirm hin, das sei der Zeuge E.

Staatsanwalt Dr. Biehl nimmt Bezug auf das erste Video und fragt nach, ob sich der Angeklagte F. auf dieser Sequenz erkennen könne. F. erkennt sich nicht.

Beide Angeklagten haben keine Erinnerung, ob sie zu diesem Zeitpunkt mit dem Wasserwerferstaffelführer H. Kontakt hatten.

Nachfrage von Rechtsanwalt Müller

Der Polizeibeamte E. hat den beiden Angeklagten gegenüber keinen Bericht erstattet.

Nachfrage von Rechtsanwältin Eberle

Angeklagter M.-B. erklärt, dass es sich bei dem Begriff Räumung um einen taktischen Begriff aus der PDV 100 handelt, bedeutet Freimachen ist lageabhängig. Es gibt besondere Vorschriften in der PDV 100 für die Räumung, diese unterliegt der Geheimhaltung.

Zeugenaussage Gabriele L., 67 Jahre, Psychologische Psychotherapeutin

Die Zeugin kam am 30.09.2010 zusammen mit ihrer Tochter und deren Lebensgefährten über die Klett-Passage in den Schlossgarten, sie sah, dass auf der kleinen Anhöhe bereits eine Absperrung vorhanden war. Sie hat zwei Wasserwerfer gesehen. Sie wurde von der Polizeikette heftig geschubst und zwar weg vom ZOB in Richtung eines kleinen Weges. Darauf hätten sie sich einen Platz gesucht und standen dann auf der Wiese.

Weil sie immer wieder Wasserregen ab bekam, hat sie den Regenschirm aufgespannt. Urplötzlich spürte sie einen heftigen Schlag, ein Wasserstrahl traf sie durch den Schirm. Sie ist dann in den Matsch umgefallen und hat nichts mehr gesehen. In ihren Augen brannte es heftig.

Von Passanten, Mitdemonstranten wurde sie in die Schillerstraße gebracht, dort stand ein Rettungswagen. Dort wurde sie von einem Sanitäter erstbehandelt und dann ins Katharinenhospital verbracht.

Befragung

Sie hielt sich ca. eine halbe Stunde auf der Anhöhe auf, dort war allerdings ein „Mordsgedränge“ und es gab dort auch Schlagstockeinsatz. Sie konnte von ihrem Standpunkt aus den Biergarten und die Wasserwerfer sehen. Sie hat gesehen, dass die Menschen auf dem asphaltierten Weg mit scharfen Strahlen traktiert wurden. Sie hat auch die Planen gesehen, unter denen Menschen Schutz suchten.

Auf der Wiese standen sehr viele Menschen, sie waren ca. 8 bis 10 Meter von dem asphaltierten Weg entfernt. Von der Wiese aus hat sie gesehen, dass der Wasserwerfer in vollem Einsatz war mit Wasserstößen, auf der Wiese kam Wasserregen an. Das dauerte ca. 20/30 Minuten.

Urplötzlich kam der Treffer links in Augenhöhe im Gesicht, sie erlitt einen zweiten Treffer, wohl im Fallen, auf den Körper. Ihr Regenschirm war hellgrün mit weißen Streifen. Hose und Jacke waren dunkel, sie trug eine Tasche aus Stoff bei sich.

Auf Nachfrage sagt die Zeugin, dass sie sehr wohl Durchsagen der Polizei gehört hat, die da lauteten „Machen Sie die Straße frei“, es gab aber nie die Durchsage „Machen Sie die Wiese frei“. Sie hat nicht beobachtet, dass es einen weiteren Zustrom von Menschen Richtung Weg gab.

Ihr linkes Auge erlitt ein Hämatom, im Laufe der Zeit entwickelte sich – verletzungsbedingt – ein Grauer Star, ihre Sehfähigkeit ist stark reduziert, es kann als Langzeitfolge noch zur Netzhautablösung kommen.

Sie lebt mit Grauschleiern und hat Einschränkungen beim Lesen und in hellen Räumen. Sie muss halbjährlich zu Untersuchungen.

Weitere Wasserwerferverletzte hat sie nicht gesehen.

Sie hat noch ein weiteres Hämatom erlitten, an weitere blaue Flecken kann sie sich nicht erinnern.

Die Zeugin sagt noch auf Nachfrage ihrer Vertreterin, dass die Menschen auf der Wiese friedlich waren. Von dort aus seien keine Bengalos geworfen worden, es ging keinerlei Gewalt von diesen Menschen aus. Es waren Menschen um sie herum, die sie aufgehoben haben und ihr geholfen haben.

Sie erinnert sich noch an einen jungen Mann, der mit brennenden und schmerzenden Augen zusammen mit ihr ins Krankenhaus verbracht wurde.

Inaugenscheinnahme Videos

Es werden jetzt mehrere Videos eingesehen. Aufgrund des auffallenden Regenschirms kann Zeugin gut erkannt werden.

Nach Videosichtung werden die Angeklagten gefragt, ob sie sich erinnern können an die Situation und ob sie sich auf den Videos erkannt haben.

Der Angeklagte M.-B. kann sich an die Situation aus eigener Wahrnehmung nicht erinnern, beruft sich hierbei wieder auf die Aufarbeitung der Videos, Erinnerung und Aufarbeitung vermischen sich.

Der Angeklagte F. hat sich selbst nicht auf Video erkannt, dafür aber andere Polizeibeamte, unter anderem seinen Assistenten V. sowie H. und F.

Zeugenaussage Dr. Katharina A., 47 Jahre, Augenärztin

Frau Dr. A ist die behandelnde Augenärztin der Zeugin L. Ihre Patientin hat sich am 04.10.2010 in der Praxis vorgestellt. Die Zeugin L. hatte im linken Auge ein Hämatom und eine Augapfelprellung und eine beginnende Eintrübung der Linse.

Zu Beginn wurden monatlich Kontrolluntersuchungen durchgeführt, jetzt nur noch halbjährlich.

Sehstärke nimmt weiter ab. Die Netzhaut, die sich ablösen kann, sowie der Augeninnendruck müssen ständig beobachtet werden. Die bestehende Kontrastschwäche kann durch eine Brille nicht ausgeglichen werden. Grauer Star ist nicht schmerzhaft.

[auch für dieses Protokoll gilt: es wurden nicht alle medizinischen Details wiedergegeben, die die von der Schweigepflicht entbundene Ärztin vor Gericht wiedergab aus Rücksicht auf die Verletzten]

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KONTEXT Artikel: Video-Schocker vom Wasserwerfer
der sechste Verhandlungstag
Ausgabe 172 vom 16.07.2014