19. Verhandlungstag: Montag, 13.10.2014

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Zeuge Ralph Sch., 39 Jahre, Rettungsassistent, damals Funktion organisatorischer Leiter Rettungsdienst DRK

Tweets von @visions_s

Protokoll von Sybille Kleinicke

Erklärung Ursula Röder im Namen aller Nebenkläger

Erklärung Ursula Röder im Namen aller Nebenkläger nach § 257 StPO
Frau Röder fasst das bisher Gehörte der Beweisaufnahme zusammen.

Vor allem die Zeugenaussage des Wasserwerferstaffelführers H. [siehe 14. Verhandlungstag, Mittwoch, 27.08.2014] hebt sie hierbei hervor. H. hatte in seiner Zeugenaussage eindeutig bestätigt, dass der ursprüngliche Auftrag lediglich die Objektsicherung war. Dann wurden vier Wasserwerfer einen Tag vor Einsatz angefordert sowie Techniktross. H. wies auf den Personalmangel bei der Wasserwerferstaffel in Biberach hin.

Auch wichtig bei der Zeugenaussage von H. war die Tatsache, dass er von der Freigabe des Unmittelbaren Zwangs nicht direkt Info erhalten hat, sondern nur über seinen Stellvertreter H., dass jetzt Schlagstockeinsatz und Pfeffersprayeinsatz stattfindet. Die Freigabe durch Wasserwerfer erfolgte über die Anweisung des Angeklagten M.-B. „jetzt mach sie mal nass“.

Zeuge hat den gegen ihn erlassenen Strafbefehl von 7 Monate auf Bewährung akzeptiert.
Zeuge B. [siehe 16. Verhandlungstag, Mittwoch, 10.09.2014], Kommandant Wasserwerfer hat ebenfalls Strafbefehl akzeptiert.

Zeuge E. [siehe 17. Verhandlungstag, Mittwoch, 17.09.2014] gegen den bislang kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, hat eine sehr mutige Aussage gemacht, man hat erfahren, dass der Angeklagte F. mit den Nerven am Ende war und einen Schwächeanfall erlitten hat.

Es gibt jetzt weitere Akten aus denen zu entnehmen ist, dass ein gegen Oberstaatsanwalt Häussler a.D. von der Staatsanwaltschaft Heidelberg im August diesen Jahres eingestellt wurde.
Laut Untersuchungsausschuss war ein Abbruch des Einsatzes nicht möglich.

Der Zeuge F., der ebenfalls einen Strafbefehl von 7 Monate auf Bewährung akzeptiert hat, hat ausgesagt, dass er nicht wusste, wie der Einsatzplan war.

Außerdem gibt es da noch festzustellen, dass die Beamten ihre Strafbefehle akzeptiert haben nach Beratung durch ihre Rechtsbeistände und eventuell auch weiterer Berater.
Die Beweisaufnahme widerlegt die Einlassungen der Angeklagten, die beiden Angeklagten waren die Ansprechpartner für die Einsatzkräfte im Schlossgarten.

Zeugenaussage Ralph Sch.

Zeugeneinvernahme Ralph Sch., 39 Jahre, Rettungsassistent, damalige Funktion: Leiter Rettungsdienst

Erstinfo kam über Rettungsleitstelle durch die Besatzung des zu einem Herz-Kreislauf-Kollapses gerufenen Rettungswagen. Die Besatzung teilte mit, dass sie Verletzte gesehen habe im Schlossgarten und dass dort etwas los ist. Zeuge muss nun wegen der Uhrzeit in einem Protokoll des Untersuchungsausschusses 1 seine Zeugenaussage nachschlagen: 12.39 Uhr.

Daraufhin hat Zeuge beim Polizeipräsidium angerufen und bekam dort erst einmal keine ausführlichen Informationen, wurde dann schlussendlich mit dem Führungsstab verbunden. Von dort bekam er eine kurze Einführung in die Lage. Zeuge wurde daraufhin von der Rettungsleitstelle in den Schlossgarten geschickt ein weiterer Kollege B. wurde ins Führungs- und Lagezentrum in die Hahnemannstraße abgeordnet.
Für den Zeugen war beim Eintreffen im Park beeindruckend, dass er sofort von Presse umringt war. Viele Pressevertreter und Demonstrationsteilnehmer sind massiv mit dem Satz „hier gibt’s hunderte von Verletzte, da sterben Kinder und Sie helfen nicht“ bestürmt.

Er beschrieb die Lage vor Ort mit Bedrängung seiner Mitarbeiter durch Handykameras und Presse ohne zu wissen, was überhaupt los ist. Lage muss erst sondiert werden, dann kann Hilfeleistung erbracht werden. Er und seine Mitarbeiter (15 Personen) waren erst einmal überfordert mit der Situation im Schlossgarten. In der ersten Phase haben sie 5,6 Leichtverletzte versorgt. Verbale Aggressionen behinderten die Arbeit.

Es wurden zwei Behandlungsplätze eingerichtet. Ein Großraumrettungswagen der Feuerwehr wurde in der Schillerstraße abgestellt, dort konnten 10 Patienten behandelt werden. In der Nähe des Schachbretts am Cafe Nil wurde der zweite Behandlungsplatz für 50 Patienten errichtet.

Für die Einrichtung dieser Behandlungsplätze musste Polizeischutz geholt werden, Infrastrukturaufbau musste ja gesichert werden durch die aufgebrachte Stimmung.
Es haben sich unglaubliche Szenen abgespielt in der ersten halbe Stunde. Handykameras liefen ständig, Familien mit verletzten Angehörigen haben sich entsprechend aufgeregt verhalten.

Höhere Anzahl von Patienten wurden versorgt, dann etwas Beruhigung als die Leute sahen, dass die Rettungshelfer Hilfe leisteten. Eine Viertelstunde später konnte die Polizei wieder abgezogen werden.

Laut seinen Aufzeichnungen 130 Patienten behandelt, 16 davon mussten stationär aufgenommen werden.
Behandelte Verletzungen:

Multiple Prellungen, Augenverletzungen, auch schwer, 1 Krampfanfallereignis, Kopfplatzwunden

Er hatte vorher und auch nach Beendigung des Einsatzes keinen Kontakt zu den Demosanis. Während der Hilfeleistung bestand allerdings ein guter Kontakt man war gegenseitig erreichbar.

Er weiß davon, dass private Hilfeleistungen durch Wasserlieferungen zum Augenausspülen geliefert wurden.

Zwischen Cafe Nil und Biergarten war von der Polizei ausgewiesener sicherer Bereich und deshalb wurde dort der Behandlungsplatz 1 eingerichtet. Der Bereich Biergarten bis zur Schillerstraße war als Gefahrenbereich deklariert, weil Sicherheit für Rettungskräfte nicht gewährleistet werden konnte.

Befragung Zeuge

Befragung Richterin Haußmann
Es hat niemand den DRK bzw. Rettungsleitstelle vor dem Einsatz informiert, er hat erst um 12:39 Uhr über den Rettungswagen von den Vorgängen erfahren. Zeuge nahm dann von sich aus Kontakt mit dem Führungsstab auf.

Vom Führungsstab hat Zeuge erfahren, dass es einen polizeilichen Einsatz sowie eine Demonstration im Schlossgarten gab. Zeuge hat dem Führungsstab mitgeteilt, dass bei der DRK-Leitstelle mehrere Anrufe eingegangen sind, dass es Verletzte gibt.
Die Informationen gab es erst über den Verbindungsmann, der im Führungsstab saß. Zeuge wusste nur, das es wohl Anrufe gab.

Zeuge war um kurz vor 13:00 Uhr im Schlossgarten. Hat sich ein wenig entschuldigt, weil die Rettungsleitstelle ja ganz in der Nähe war. Er sagte aus, dass sie nicht wussten, wie sie in den Schlossgarten einfahren könnten und sind einmal komplett drum herum gefahren. Übliche Zufahrt konnte nicht genommen werden, Zeuge musste sich eine Zufahrt suchen!

Am Cafe am Nil stand der 1. Rettungswagen, der die ersten Informationen an die Rettungsleitstelle überbracht hatte, von der dortigen Besatzung hat er dann weitere neue Informationen erhalten.
Zeuge hat vom Cafe Nil aus nichts vom Einsatzgeschehen gesehen.
Informationsaustausch mit der RTW-Besatzung.

Der Verbindungsmann im Führungsstab hat Informationen an den Zeugen geben müssen, dieser musste aber erst im Führungsstab abstimmen, wo ein sicherer Bereich für einen Behandlungsplatz ist.

Es wurde abgesprochen, dass Patienten gebracht werden, Rettungshelfer gehen nicht in den Gefahrenbereich. Patienten wurden durch Demonstranten und Familienangehörige gebracht, auch über Demosanitäter, anfänglich jedoch nicht über Polizei.
Zeuge und Mitarbeiter errichteten eine Zeltstadt, die aus mehreren Behandlungszelten bestand zur Versorgung von bis zu 50 Patienten.

Richterin verliest dann aus Polizeieinsatzprotokoll um 14:32 Uhr ein Funkgespräch. Dort wird davon gesprochen, dass DRK von Störern belästigt wird.
Zeuge etwas verwundert über Uhrzeit, sei etwas spät. Andererseits habe er ja mehrfach beim Verbindungsmann im Führungsstab nachfragen müssen, wo ein sicherer Bereich für die Errichtung des Behandlungsplatzes ist.
Ein weiterer Funkspruch wird verlesen, in dem diese Uhrzeit nochmals bestätigt wird.
Zeuge kann nicht mehr genau sagen, wann Polizeischutz kam.

Von Mitarbeitern hat er erfahren, dass Schlagstock und Pfefferspray laut den Patienten eingesetzt wurde. Verletzungen, die durch den Wasserwerfer verursacht wurden waren ihm nicht mitgeteilt worden.

Zeuge selbst war nicht zur Versorgung eingesetzt, deshalb hat er keine eigene Wahrnehmung zu den Verletzungen. Den Augenverletzten Dietrich Wagner hat er beim Herausführungen aus dem Schlossgarten gesehen.

Von einem Schädelbasisbruch ist dem Zeugen nichts bekannt. Es gab ein Gerücht, dass es einen Toten gegeben habe, was sich Gott sei Dank nicht bestätigt hat. DRK hat kein Schädel-Hirn-Trauma behandelt.

Es waren alle Stuttgarter Rettungskräfte im Einsatz auch Katastrophenschutz und Feuerwehr.
Der Zeuge selbst war bis 3:00/4:00 Uhr vor Ort im Einsatz. Er verließ den Schlossgarten als auch der medizinische Einsatz beendet war.
Vom eigentlichen Polizeieinsatz hat er nichts mitbekommen, nur von vorbeilaufenden Polizeikräften.

Befragung Berichterstatterin Müller-Nieß
Mitarbeiter haben dem Zeugen berichtet, dass es Wasserwerfer-Verletzte gibt, Zeuge hat dem Verbindungsmann im Führungsstab mitgeteilt, dass Wasserwerfer im Einsatz sind.

Es gab 130 Verletze im Laufe der gesamten Einsatzzeit.
Berichterstatterin liest aus dem Polizeiprotokoll vor:
Insgesamt 80 Verletzte, davon 5 stationär aufgenommen
Verbindungsmann hatte auch Kontakt zur Leitstelle und zu Krankenhäusern
18:17 Uhr: Polizeiprotokoll: 90 ambulant versorgte Verletzungen, 9 Patienten in Krankenhäuser verbracht, im Wesentlichen durch Reizgas verletzt
20:10 Uhr: Polizeiprotokoll: 106 ambulant versorgte Verletzungen, 6 unter 18 Jahre, 10 in Krankenhaus
01.10. 01:00 Uhr Polizeiprotokoll: 114 ambulant versorge Verletzungen, 16 in Krankenhaus
01.10. 03:09 Uhr Polizeiprotokoll: 114 ambulant versorge Verletzungen, 16 in Krankenhaus

Zeuge sagte, dass um die Uhrzeit in etwa der Abbau des Behandlungsplatzes 1 erfolgte und die Einsatzkräfte reduziert wurden.
Das Bild von Dietrich Wagner hat er erst am nächsten Tag gesehen, im Mittleren Schlossgarten hat er dieses Bild nicht gesehen.

Befragung Staatsanwalt Biehl
Nachbesprechungen fanden ohne Zeugen statt, er könne dazu deshalb nichts sagen.

Befragung Rechtsanwalt Mann
Zeuge hatte nur zu sichernden Polizeibeamten vor Ort Kontakt, sonst kein Kontakt zu Polizei.
Die Angeklagten kennt der Zeuge nicht, er hat mit ihnen nie gesprochen.
Dietrich Wagner wurde an ihm zum Rettungswagen vorbeigeführt. Die Verletzungen Dietrich Wagners waren die erste Augenverletzung, die er gesehen hat. Er kann sich nicht erinnern, dem Verbindungsmann im Führungsstab davon unterrichtet zu haben.
114 ambulant behandelte Patienten wurden standardmäßig behandelt, die Statistik wurde vom DRK geführt.
Ihm wurde keine Funkfrequenz zugeteilt, vom Polizeifunk hat er deshalb nichts mitbekommen.

Befragung Rechtsanwältin Eberle
Die absichernden Polizisten haben nicht über die Lage mit ihm gesprochen. Es wurde auch nicht über schwere Verletzungen am Behandlungsplatz 2 gesprochen.
Die Kommunikation zum Verbindungsmann lief über Handy, zu Beginn häufiger, da der Verbindungsmann sich jeweils mit dem Führungsstab abstimmen musste.

Auf die Frage, ob er etwas zu der MANV-Lage [Massenanfall von Verletzten] sagen könne, zeigte sich Zeuge erstaunt, dass die Rechtsanwältin davon wusste. Aus der Akte ist ersichtlich, dass Stufe 2 der MANV-Lage bestand, der Zeuge sagt hierzu, dass er die Lage so nicht eingestuft hätte. Die MANV beschreibt Richtlinien zur Lage, beinhaltet standardisierte Abläufe mit Einsatz von Rettungkräften und Einrichtung Rettungsketten.

Die Standorte für die Behandlungsräume wurden in Absprache mit dem Verbindungsmann im Führungsstab getroffen. Die Feuerwehr war mit dem Großraumrettungswagen dabei.
Auch Polizisten haben Patienten dem DRK zugeführt.

Während des Einsatzes hat der Zeuge nicht von weiteren Telefonanrufen in der Rettungsleitstelle erfahren. Zeuge berichtet, das ihm Mitarbeiter zugetragen haben, dass es diffuse Anrufe bei der Leitstelle gab, wegen verletzter Personen. Da jedoch die Ortsangaben fehlten, konnten sie nichts machen, sie haben die Leute einfach nicht gefunden.
Auf die Frage, ob der Zeuge nasse Personen gesehen habe, sagte dieser, er könne sich nicht mehr erinnern, er weiß es nicht.

Befragung Rechtsanwältin Röder
Die leitende Notärztin an diesem Tag war Frau Dr. M.
Der Gefahrenbereich war ab Biergarten bis Schillerstraße deutlich kommuniziert. Durch die Polizei konnte für die Sicherheit in diesem Bereich nicht garantiert werden.
Ein geplanter Einsatz wird im Vorfeld mit der Rettungsleitstelle besprochen, diese sind in die Planungen einbezogen.
Zeuge hat nicht nachgefragt, weshalb dies nicht geschehen ist.
Herr K. war/ist Rettungsdienstleiter und war wohl seines Wissens nach bei Nachbesprechungen.
Zeuge hat nicht mitbekommen, ob auch Polizeibeamte erste Hilfe geleistet haben.

Nächster Verhandlungstermin: 13.10.2014, 9:00 Uhr

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KONTEXT Artikel: Nichts mitgekriegt vom Katastrophenalarm
der neunzehnte und einundzwanzigste Verhandlungstag
Ausgabe 187 vom 29.10.2014